29. Juni 2021 - Aktuelles
„Die Presse“ bringt ein aktuelles Thema präzise auf den Punkt:
Das Florianiprinzip der E-Auto-Euphorie
Damit wir möglichst CO2-arm unterwegs sein können, dürfen andere Länder mit Chemikalien ihr Grund- und Trinkwasser kontaminieren.
Freilich ist Flugscham ein ganz schöner Spielverderber. Die Zeitreichen fahren deshalb, wenn Reisen wieder erlaubt ist, mit der Eisenbahn 24 Stunden und mehr von hier nach da. Eh schön. Wer mit seiner Zeit ebenso knausrig haushalten muss wie mit dem zur Verfügung stehenden Reisebudget, muss daheimbleiben. In der neuen Spießerglückseligkeit ist sowieso Balkonien das angesagteste Reiseziel. Nur nicht die Nasen in fremde, ferne Kulturen stecken! Norden, Süden, Osten, Westen, in der Heimat ist’s am besten, so lernten wir die Himmelsrichtungen in der Volksschule. Da wollen wir also wieder hin?
Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.
>>> Mehr aus der Rubrik „Quergeschrieben“
Fernwehe Menschen hoffen indes, dass CO2-freie Mobilität dank moderner Technologien und Entwicklung alternativer Treibstoffe wie synthetischen Kerosins nicht nur ein schöner Traum und Fliegen auch für Menschen mit wenig Geld erschwinglich bleibt.
Höhere Preise und Verbote, die in der Politik offenbar als adäquateste Umerziehungsmittel zu Klimaschutzzwecken erachtet werden, bedeuten nämlich nur, dass weniger Begüterte ganz schön draufzahlen.
Menschen mit dickem Bankkonto können sich smarte E-Autos leisten, allfällige Diesel- und Benzinstrafsteuern ebenfalls und die Freiheit über den Wolken sowieso. Manche kaufen der Einfachheit halber sogar gleich ein eigenes Flugzeug, um jederzeit um die Welt jetten und vor der Klimakatastrophe warnen zu können. Die anderen, so ventiliert es zumindest Frans Timmermans, EU-Kommissar für Klimaschutz, mögen sich bitte mit einem Flug pro Jahr begnügen.
Vielleicht sollte Frans Timmermans Sahra Wagenknechts Buch „Die Selbstgerechten“ lesen – oder, wenn ihm das zu viel ist, wenigstens deren jüngste Interviews. In der „Presse“ etwa hat die deutsche Linke erklärt, was sie an „Lifestyle-Linken“ so abstoßend finde, nämlich „die als Moral getarnte Verachtung von Menschen, die anders leben, auch weil sie sich vieles vielleicht gar nicht leisten könnten: Bio-Produkte etwa, oder einen smarten Tesla oder die Wohnung in der Innenstadt, von der aus man tatsächlich viele Wege mit dem Fahrrad erledigen kann. Wer sein Fleisch beim Diskonter kauft oder mit dem Benziner-Mittelklasse-Wagen herumfährt, wird moralisch verächtlich gemacht. Mich stört die Arroganz, mit der Lifestyle-Linke ihre persönlichen Privilegien für Tugenden halten.“
Jemand, dessen Fuhrpark aus einem billigen Gebrauchtauto besteht, wird sich wohl kein neues (und teures) E-Auto leisten können. Wobei 171 Wisssenschaftler E-Fahrzeugen die Umweltfreundlichkeit absprechen: Deren CO2-Belastung sei doppelt so hoch wie von der EU-Kommission angenommen – und höher als von Diesel-Pkws. Andere Wissenschaftler sagen, das sei Unfug. Und wir Laien? Sind ratlos.
Was wir Laien aber schon verstehen könnten, ist das Florianiprinzip der E-Auto-Euphorie. Rund zehn Kilo Lithium brauchen die Hersteller für eine einzige Elektro-Auto-Batterie; seriösen Schätzungen zufolge werden bis 2030 jedes Jahr mehr als 240.000 Tonnen Lithium in der Automobilindustrie gebraucht. Damit wir in unserer schönen ersten Welt möglichst CO2-arm unterwegs sein können, dürfen also andere Länder wie Bolivien, Chile und Argentinien mit den für den Lithium-Abbau nötigen Chemikalien ihr Grund- und Trinkwasser kontaminieren, Landschaften zerstören und die Lebensgrundlage der indigenen Bevölkerung zerstören. Nickel, ein anderer Schlüsselrohstoff, wird hauptsächlich in Asien gewonnen. Zum Wohlstand der Bevölkerung trägt das nicht bei, wohl aber zur Umweltzerstörung. Nickelhaltige Sedimente färben in Abbaugebieten das Wasser von Flüssen und Fischteichen rot. Und wie umweltverträglich werden die Rohstoffe eigentlich rund um die Welt transportiert?
Weil wir unsere Nasen aber nicht in fremde, ferne Kulturen stecken sollen, interessiert uns das in unseren sauberen, abgasarmen E-Autos gar nicht.